Sunday 24 March 2013

Patente: Der totale Griff nach dem Leben



Gene, Pflanzen, Tiere und sogar menschliches Sperma und Eizellen: Konzerne patentieren Leben, als wäre es ihre Erfindung. Nichts und niemand soll verschont bleiben. Nur Widerstand hilft gegen diese unglaubliche legalisierte Praxis.
Von Klaus Faissner
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Das Leben selbst als Rendite schaffende Finanzanlage: Wenn Konzerne wie Monsanto ihren Willen durchsetzen, wird nicht bloß die Dritte Welt in den Abgrund stürzen.
„Für mich ist das Ganze ein Verbrechen. Die Geschichte mit der Patentierung ist vollkommen fehlgelaufen, denn Patente sind für Erfindungen, nicht für Entdeckungen. Heute hätte Newton ein Patent auf die Schwerkraft.“[1] Diese Worte stammen von keinem Umwelt- oder Menschenrechtsaktivisten sondern von Erwin Chargaff. Dieser Mann muss es wissen: Er entdeckte in den 1950er-Jahren als Erster die Basenpaarungsgesetze im menschlichen Erbgut und machte damit die Genmanipulation erst möglich. Daher gilt er auch als „Vater der Genforschung“. Doch als Chargaff sah, welche Auswirkungen die Gentechnik hat, wandte er sich mit Grauen von ihr ab und wurde zu einem ihrer heftigsten Kritiker. Chargaff sprach bildlich aus, was Sache ist: Leben kann man nie erfinden, sondern nur entdecken. Daher sind Patente auf Leben widersinnig und kriminell.
Dennoch gibt es sie. Und das aus zwei Gründen: Macht und Geld. Denn nirgends lässt sich so verlässlich und dauerhaft Geld verdienen, als mit dem Zwang von Lizenzgebühren auf Nahrung. Alle sind betroffen: Bauern, Lebensmittelverarbeiter, Händler und Konsumenten. Um welche Dimensionen es geht, machen zwei Zitate deutlich:
„Beherrsche die Energie, und du beherrschst die Nationen. Beherrsche die Nahrung, und du beherrschst die Menschen.“ (Henry Kissinger nachgesagt)
„Wir wollen die weltweite Nahrungsversorgung kontrollieren.“ (Ex-Monsanto-Mitarbeiter Kirk Azevedo über die Ziele des Konzerns)
Das heißt, dass Mächtige mittels Patenten und Gentechnik die Weltherrschaft über die Nahrung anstreben. Die Geschichte dieser Praxis ist jung, jedoch von einer enormen Dynamik: Am 16. Juni 1980 erteilte der Oberste Gerichtshof (Supreme Court) in den USA ein Patent auf ein genmanipuliertes Bakterium und eröffnete damit die Jagd auf den Besitz von Leben.

Industrie fungierte gleichzeitig als Patient und Arzt

So richtig ins Rollen kam der Stein 1986, als der Pharmagigant Pfizer und der Computerkonzern IBM das Intellectual Property Committee (IPC) ins Leben riefen. Es setzte sich bald nach der Gründung aus insgesamt 13 US-Konzernen zusammen, die sich die Einführung weltweiter Patentregeln zum Ziel setzten. James Enyart, Kommunikationschef des Gentechnikkonzerns Monsanto, plauderte 1990 im französischen Journal Les Nouvelles die gemeinsame Strategie aus: „Die Industrie wurde auf ein größeres Problem im internationalen Handel aufmerksam. Sie entwarf eine Lösung, reduzierte sie auf einen konkreten Vorschlag und verkaufte diesen unserer eigenen und anderen Regierungen. (…) Die Industrie und die am Welthandel Beteiligten haben dabei gleichzeitig die Rolle des Patienten, des Diagnostikers und des behandelnden Arztes gespielt.“
Das Wirken im Hintergrund hatte Erfolg: 1995 wurde die WelthandelsorganisationWTO gegründet. Einer ihrer drei Pfeiler ist das TRIPS-Abkommen (engl. für „Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums“), in dem Patente auf Leben weltweit legitimiert wurden. In Art. 27 ist beispielsweise geregelt, dass „Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erhältlich“ sein müssen. Das TRIPS-Abkommen legt fest, welche Mindestanforderungen das Patentrecht der Nationalstaaten zu erfüllen hat. Wer gegen diese Regelungen verstößt, kann erstmals auch bestraft werden.
Der Termin zur Durchsetzung von Patenten auf Leben passte gut: Ein Jahr später wurden erstmals großflächig genmanipulierte Pflanzen angebaut – vor allem in Nord- und Südamerika. In Europa tickten die Uhren vorläufig noch anders: 1995 hatteGreenpeace eine Klage vor der technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes gewonnen – ein Patent von Plant GeneticScience, das heute zu Bayergehört, wurde abgelehnt. Nach dem damals alleine maßgeblichen Europäischen Patent-Übereinkommen durften keine Patente auf Pflanzensorten und Tierrassen erteilt werden. Diesen juristischen „Schnitzer“ bügelten die EU-Politiker drei Jahre später jedoch enorm großzügig für die Gentechnik-Lobby aus: EU-Ministerrat und EU-Parlament gaben grünes Licht für die „Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen“, die sogenannte EU-Biopatentrichtlinie. Die Patente erstrecken sich nicht nur auf die jeweiligen Pflanzen und Tiere, sondern auch auf alle Nachkommen und Weiterkreuzungen. Dies sei „weltweit einzigartig“, wie der kritische deutsche Gentechnik-Forscher Christoph Then feststellt.
Ein Festschmaus also für Gentechnikkonzerne wie Monsanto, Dow Chemical, Du Pont, Syngenta, Bayer oder BASF. Doch Widerstand gegen dieses „Verbrechen“ – um nochmals Erwin Chargaff zu zitieren – setzte schnell ein. Dieser Widerstand war es auch, der bis heute die totale Weltherrschaft der Konzerne über die Nahrung verhinderte. So konnten heftige Proteste zahlreicher engagierter Bürger und Nichtregierungsorganisationen die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht zumindest verzögern: Erst nach sechs bzw. sieben Jahren trauten sich die Regierungen Deutschlands und Österreichs, die Biopatent-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen – obwohl sie dies binnen eineinhalb Jahren hätten tun müssen. Dabei zeigte sich aber letztlich, dass es egal ist, welche Partei gerade am Ruder sitzt: In Deutschland setzte eine linke rot-grüne Regierung, in Österreich eine konservativ-nationale Regierung die Regelung EU-konform um.
Tatsächlich kam es seit dem Beschluss der EU-Biopatentrichtlinie zu einer Flut von zugelassenen Patenten auf Leben: Seit 1999 genehmigte das Europäische Patentamt über 900 Patente auf Tiere und weit über 1’800 Patente auf Pflanzen.

EU-Patentamt verdient mit

Damit wurde das Patentamt neben den Gentechnikkonzernen zum zweiten Gewinner der Richtlinie, denn es finanziert sich zur Gänze privat. Dementsprechend tragen die Gebühren aus Erteilungsverfahren für Patente auf Leben dazu bei, fette Gewinne zu schreiben – 2011 waren es immerhin 89,2 Mio. Euro. „Es kann über diese Einnahmen frei verfügen. Je mehr Patente es erteilt, desto besser geht es seinen Bediensteten. Das Amt bestimmt seit den späten 80er-Jahren de facto selber, nach welchen Kriterien es die Patente erteilt“, erklärt der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII), der sich in ganz Europa gegen Software-Patente einsetzt. Ende 2012 kündigte Benoît Battistelli, Präsident des Europäischen Patentamtes, eine Ausschüttung von Boni an seine ohnehin bestens bezahlten Mitarbeiter an – immerhin 4’000 Euro pro Kopf.[2]

Immer mehr Patente auf natürliche Pflanzen und Tiere

Am Anfang drehte sich bei den europäischen Patenten auf Leben so gut wie alles um Gentechnik. In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der Patente auf konventionelle, gentechnikfreie Züchtung dramatisch zu, wie der 2009 erschienene Report „Saatgut und Lebensmittel“ von Christoph Then und Ruth Tippe aufdeckte.[3]Grund für diesen Prozess ist aber nicht nur die offensichtlich angestrebte Weltherrschaft über die Nahrung, sondern auch die Fehlerhaftigkeit der gentechnischen Veränderung an sich. In der – letztlich nicht erteilten – Patentanmeldung WO2004053055 von Monsanto, wo es um unbeabsichtigte Effekte der Genmanipulation geht, heißt es wörtlich: „Die Möglichkeiten, eine Pflanze durch gentechnische Veränderungen zu verbessern, sind gering [Hervorhebung durch die Red.]. Dies hat eine Reihe von Ursachen. So lassen sich die Effekte eines spezifischen Gens auf das Wachstum der Pflanze, deren Entwicklung und Reaktionen auf die Umwelt nicht genau vorhersagen. Dazu kommt die geringe Erfolgsrate bei der gentechnischen Manipulation, der Mangel an präziser Kontrolle über das Gen, sobald es in das Genom eingebaut worden ist, und andere ungewollte Effekte, die mit dem Geschehen bei der Gentransformation und dem Verfahren der Zellkultur zusammenhängen.“[4]
Besonders bekannt wurden zwei Patentanträge von Monsanto auf die Zucht von Schweinen. Hierin beanspruchte der Konzern die Verwendung von einigen Tausend Genvarianten vom Schwein und formulierte dies so, dass die Tiere selbst eingeschlossen waren. Auch das Hausschwein und seine Nachkommen waren betroffen. Nach heftigen Protesten[5] schwächte Monsanto im Jahr 2007 die Patentansprüche etwas ab und verkaufte diese an das US-Unternehmen Newsham Genetics. Des Weiteren gab Monsanto offiziell den Rückzug aus der Branche bekannt: „Wir sind draußen aus dem Schweinegeschäft“, ließ der Konzern z.B. auf seiner Homepage verlauten.[6] Doch das Gegenteil war der Fall: Man vereinbarte nämlich eine dreijährige Forschungsgemeinschaft zwischen den beiden Unternehmen und Newsham Genetics erhielt 2008 das heiß ersehnte Patent (EP20081651777), „das sich immer noch auf die Zucht von ganz normalen Schweinen“ erstreckte, so Ruth Tippe, Gründerin von Kein Patent auf Leben. Ein bislang einmaliger Protest war die Folge: Insgesamt gab es vier Einsprüche – davon einer vom grundsätzlich gentechnikfreundlich eingestellten Deutschen Bauernverband und ein Sammeleinspruch von mehr als 50 Verbänden, 5’000 Privatpersonen sowie der hessischen Landesregierung. Im April 2010 teilte dasEuropäische Patentamt mit, der Patentinhaber habe kein Interesse mehr an dem Schutzrecht. (Ende des Textauszugs)


Quelle: der Honigmann (24.03.2013)



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