Monday 29 July 2013

Pleitewelle rollt über die Euro-Zone



Michael Brückner


Der Pleitegeier kreist über der Euro-Zone. Alpine, Praktiker, Max Bahr, Loewe – das sind nur die aktuell prominentesten Opfer. Experten erwarten in diesem Jahr in den Euro-Staaten einen Anstieg der Insolvenzen um sage und schreibe 21 Prozent. Allein in Spanien könnten 40 Prozent mehr Unternehmen pleitegehen als im Jahr zuvor. Aber auch in Deutschland und Österreich sind die Zahlen alarmierend. Bis Ende des Jahres dürften in diesen beiden Ländern Hunderttausende von Arbeitsplätzen verschwinden. Doch die Politik hat in den Wohlfühl-Modus umgeschaltet.

Die Regierung präsentiert rechtzeitig vor den Wahlen Deutschland als wirtschaftlichen Musterschüler, der Dax trotzt allen Hiobsbotschaften und behauptet sich über der 8000-Punkte-Marke, und die Deutschen beurteilen sogar den Euro heute positiver als noch vor einem Jahr.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Seit einigen Monaten rollt eine Pleitewelle über das Land. Sie reißt sogar starke Marken in den Abgrund und vernichtet Zehntausende von Jobs.

Es trifft ganz unterschiedlich positionierte Unternehmen. Die Billig-Baumarktkette Praktiker ist pleite, ebenso die angeblich profitabler wirtschaftende Tochtergesellschaft Max Bahr. Aber auch Loewe als Hersteller von hochwertigen und entsprechend teuren Elektrogeräten kämpft ums Überleben. Gleiches gilt für den Immobilienkonzern IVG. Die Kfz-Werkstattkette ATU sucht dringend neue Geldgeber, sonst könnte spätestens Anfang kommenden Jahres der Kollaps drohen. Knapp bei Kasse sollen überdies der Textildiscounter NKD sowie der Rüstungsgüterhersteller Heckler & Koch sein. Und in der Solarenergiebranche war es schon zuvor zu spektakulären Zusammenbrüchen gekommen.

Nach Angaben von Creditreform kam es im ersten Halbjahr 2013 in Deutschland zu knapp 15 600 Insolvenzen, gegenüber 14 900 im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Mindestens 150 000 Arbeitsplätze gingen dadurch bereits verloren oder sind akut gefährdet. Der Schaden für die Gläubiger wird auf etwa 16,5 Milliarden Euro geschätzt. Besonders betroffen von der Pleitewelle sind in Deutschland der Handel, die Bau- und Solarbranche sowie die Automobilzulieferer.

Doch nicht nur die Bundesrepublik wird von einer Insolvenzwelle überrollt. Über den meisten Staaten der Euro-Zone kreisen seit einigen Monaten verstärkt die Pleitegeier. Besonders schlimm hat es Österreich erwischt. »Die österreichische Wirtschaft hat sich markant abgeschwächt«, heißt es in einer Untersuchung des Kreditversicherers Prisma. Vor allem die Pleite der Alpine Bau erschütterte die Wirtschaft des Nachbarlandes. Gemessen an den Passiva von etwa 2,6 Milliarden Euro dürfte der Zusammenbruch des Baukonzerns die größte Pleite in der Zweiten Republik sein. Mehr noch: Die Alpine-Insolvenz droht bis zu 80 Kleinbetriebe, die zum großen Teil von Aufträgen dieses Bauunternehmens lebten, mit in den Abgrund zu reißen. Vor Alpine hatten bereits die Pleiten der österreichischen Elektronikkette Niedermeyer und des Personaldienstleisters MPS für Schlagzeilen gesorgt.

Experten rechnen in diesem Jahr in Österreich mit einem Anstieg der Insolvenzzahlen um mindestens vier Prozent gegenüber 2012. Doch trotz der spektakulären Pleiten in Deutschland und Österreich kommen diese Länder gleichsam mit einem blauen Auge davon. Denn in der Euro-Zone insgesamt droht eine Insolvenzwelle ungeahnten Ausmaßes. Der Kreditversicherer Prisma sagt für 2013 einen Anstieg der Pleiten in den Euro-Ländern um rund 21 Prozent voraus.

Besonders dramatisch ist die Situation in Spanien. Dort wird die Zahl der Insolvenzen in diesem Jahr gegenüber 2012 um sage und schreibe 40 Prozent (!) steigen. Selbst unter den Problemstaaten Südeuropas nimmt sich dieser Zuwachs alarmierend aus. In Griechenland wird mit einem Anstieg der Insolvenzzahlen um zehn Prozent, in Portugal um 8,5 Prozent und in Italien um 6,9 Prozent gerechnet. In der Schweiz hingegen könnten die Insolvenzzahlen in diesem Jahr um über zwei Prozent sinken.

Experten berichten über zwei gegenläufige Trends. Während die Zahl der Insolvenzen in der Euro-Zone um 21 und in Gesamteuropa um 16 Prozent in die Höhe schnellt, sinken die Insolvenzen in Amerika und Asien um je fünf Prozent. Der Kollaps der Märkte in den südeuropäischen Krisenstaaten und der damit einhergehende Exporteinbruch, nachlassende Investitionen sowie der in vielen Euro-Ländern deutlich nachlassende private Konsum bilden zusammen ein Konjunkturklima, in dem Pleitegeier Auftrieb erhalten.

Werden auch im nächsten Jahr noch bekannte Unternehmen und Marken vom Markt verschwinden? Die Optimisten hoffen zumindest, dass die Pleitewelle 2014 allmählich abebbt. Andere Experten hingegen fürchten, Pleitefälle wie Alpine oder Praktiker seien erst der Anfang. Kommen – was sehr wahrscheinlich ist – nach den Bundestagswahlen neue Hiobsbotschaften aus den Krisenländern ans Tageslicht, könnten weitere spektakuläre Pleitefälle folgen. »Ich gehe davon aus, dass sich die Insolvenzdynamik in der Euro-Zone noch weiter verstärken kann«, sagt Ludwig Mertes, Vorstand der Prisma Kreditversicherung.

Jedenfalls dürfen jene Kandidaten, die aktuell auf der »Todesliste« stehen, wohl kaum mit ähnlich großzügigen staatlichen Hilfen rechnen wie die Banken. Für Großbanken und Konzerne wie Opel gilt die Maxime »Too big to fail«. Sie sind zu mächtig, um pleite zu gehen. Für mittelständische Unternehmen heißt es indessen »Too small to fail«. Sie dürfen nicht scheitern, weil sie zu klein sind, um auf staatliche Unterstützung hoffen zu dürfen.


Quelle: KOPP Online (29.07.2013)


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