Thursday, 24 January 2013

EU-Strafverfahren: Droht Deutschland eine Demontage der Sozialstaatlichkeit?


Druck
Als Reuters am Montag einen Artikel über die EU-Warnschwelle veröffentlichte, wurde dieser von den Medien relativ emotionslos kopiert. Die Sprengkraft dieser Meldung scheint den wenigsten klar zu sein. Abgesehen von der Strafe im Milliardenbereich, geht es um massive Eingriffe in sehr sensible Bereiche des Staates. Gut verpackt im so genannten “Sixpack“, findet insbesondere das Makroökonomische Ungleichgewicht seinen Platz. Der Korrekturmechanismus hat es in sich und ist genau genommen ein Instrument zur autoritären Demontage der Sozialstaatlichkeit.

Wie eine Made durch faules Fleisch gräbt sich die Räterepublik immer tiefer in die noch bestehendenen Sozialstaaten. Deutschland ist dort ein besonderer Dorn im Auge, was zur Genüge aus Brüssel betont wurde. Damit noch nicht genug, Deutschland trägt große Schuld an der Finanz- und Schuldenkrise, fabulieren laut Reuters “viele Experten”. So heißt es bei Reuters:
Deutscher Exportüberschuss über EU-Warnschwelle
Viele Experten sehen im deutschen Überschuss eines der großen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft, die für die Finanz- und Schuldenkrise mitverantwortlich sind. Den Ländern mit solchen Exportwerten stehen welche mit Defiziten gegenüber, die ihre Importe über Schulden finanzieren müssen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Industriestaaten-Organisation OECD fordern daher seit längerem von Deutschland, mehr für die Binnennachfrage zu tun, um die Unwucht zu beheben.[1]
Diese Aussage ist an Frechheit kaum zu überbieten, jedoch eignet sich die Bundesrepublik immer wenn es darum geht einen Schuldigen zu finden. Im Reuters-Artikel wird zumindest noch erwähnt, dass wir unser “Exportwunder” immerhin selbst bezahlen, über das Target2-Clearingsysstem. Die anderen Eurostaaten gehen in Deutschland auf Shoppingtour und bezahlen die Rechnung nicht, so lässt sich das in kurzen Worten zusammenfassen.
Grafik: http://3dbildermacher.de
Betrachtet man die genauen Hintergründe, ist das Vorgehen des Europäischen Parlaments und des Rates nur Konsequent. Die Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der einzelnen Staaten in Europa sind derart gravierend, dass nur durch Zwang und fiskalische Gewalt ein Ausgleich stattfinden kann. Der Euroraum hat der Peripherie im Süden alle Möglichkeiten der Abwertung genommen und das Korsett droht die Staaten zu erdrücken.
Um das Ziel der Vereinigten Staaten von Europa zu erreichen, ist dieser Druck von außen auf Deutschland sehr hilfreich. Zwar geben Kommission und Rat “nur eine Empfehlung” ab, aber eine Umsetzung durch den willfährigen Büttel Deutschland ist selbstverständlich Staatsräson, auch hieran lassen Frau Merkel und Herr Schäuble keinen Zweifel.
Nun zurück zum Exportüberschuss und der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euroraum.
Noch vor etwa einem Jahr, war der Überschuss Deutschlands kein Thema, wie man im Spiegel schrieb. Dort heißt es:
Wirtschaftliches Ungleichgewicht: EU überprüft zwölf Mitgliedstaaten
Es soll eine Lehre aus der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise sein: Die EU-Kommission will zwölf EU-Länder beobachten, in denen wirtschaftliche Ungleichgewichte festgestellt wurden. Das kündigte EU-Währungskommissar Olli Rehn am Dienstag in Straßburg an. Deutschland, das seit Jahren einen hohen Leistungsbilanzüberschuss erwirtschaftet, droht vorerst keine Beobachtung.Auf Korrekturauflagen müssen sich aber Frankreich, Großbritannien und Belgien gefasst machen.[2]

Die Bedrohung der Sozialstaatlichkeit


Soweit so gut, könnte man meinen. Nun stellen sich die Leser natürlich die Frage, was all das mit einer Demontage der Sozialstaatlichkeit zu tun hat. An dieser Stelle möchte ich mich bei Volker und Sarah Hassel-Reusing bedanken, die mich im Sommer letzten Jahres für das Thema sensibilisiert haben. Dort ging es um das Bundesschuldenwesengesetz, den Stabmech und das Staateninsolvenzverfahren. Im Zuge dieser Gespräche hatten wir auch diese Thematik angesprochen.
Zum Besseren Verständnis hier einige Zeilen einer Studie aus September 2012 der Hans-Böckler-Stiftung:
Europa-Debatte: Autoritär und unsozial
Von der neuen europäischen Wirtschaftsregierung, die – von Brüssel aus – unterschiedliche Wettbewerbsniveaus in den EU-Mitgliedstaaten angleichen soll, hat die Arbeitnehmerseite wenig Gutes zu erwarten.
[...]
Den Kern der neuen Wirtschaftsregierung bildet ein Verfahren zur Vermeidung und Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte eines Mitgliedstaates, kurz “makroökonomisches Ungleichgewichtsverfahren” (MUV).
[...]
Sie liefern die Grundlage für einschneidende Eingriffe seitens der Union in die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten der Eurozone. Dabei geht es um Wirtschaftspolitik in einem weiten Sinne, also unter Einschluss von Steuer-, Arbeits- und Sozialpolitik.
[...]
Die große Neuerung ist aber, dass ein Mitgliedstaat der Eurozone gleichwohl mit Geldbußen belegt werden kann, wenn er die Vorgaben nicht umsetzt. Dies ungeachtet dessen, ob die Union in den Politikbereichen, auf die sich ihre Vorgaben beziehen, eine eigene Rechtssetzungskompetenz hat. Keine Kompetenz hat die Union namentlich in den Kernbereichen mitgliedstaatlicher Arbeits- und Sozialpolitik, im kollektiven Arbeitsrecht und dem Recht der sozialen Sicherheit. Künftig aber soll die Union auf Grundlage der EUV nun auch in diesen Bereichen steuern können, sofern dies aufgrund von makroökonomischen Ungleichgewichtslagen erforderlich wird.
[...]
Die Wirtschaftsregierung entlang der EUV besteht letztlich darin, die demokratische Politik in den Mitgliedstaaten der Aufsicht durch die EU-Kommission in Brüssel zu unterstellen. Die mitgliedstaatliche Politik wird durch Weisungen korrigiert, wenn die Ergebnisse der demokratischen Prozesse in einem Mitgliedstaat nicht den Erfordernissen entsprechen, die sich aus der einheitlichen Euro-Währung ergeben.[3-Must Read]

Die Strafzahlung


Die vorgesehenen Strafen bei Verletzung der Regeln klingen zunächst nicht so erschreckend. Direkt sprechen wir von 0,2 % des BIP, was in der Summe etwa 5,4 Milliarden Euro/Jahr entspricht und somit ~ 50 % der Staatsausgaben für Bildung und Forschung. Nach-gelagerte Strafen sind hier nicht berücksichtigt.
Da ist der Musterschüler Deutschland aber auch wirklich selber Schuld, was arbeiten wir auch so effizient. Mehr Sangria und Ouzo heißt die Devise, stellen Sie die Taschenrechner oder Schippe zur Seite und ab in die Freizeit. Sollte Ihr Arbeitgeber sich beschweren sagen sie ihm einfach, das ist Auflage der Europäischen Union, er wird das dann schon verstehen.
Eine Bitte noch, verschonen Sie bitte die Kommission und den Rat mit so sinnlosen Fragen wer dann die Schulden für die anderen Staaten bezahlt.
Leistungsbilanzsalden zum BIP in der Eurozone
Bildquelle: Wiki – Pill
Carpe diem


Quelle: iknews (23.01.2013)

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